Insolvenzverwalterhaftung nach der AO: Der Insolvenzverwalter ist nicht rückerstattungspflichtig bei (nachträglich) rechtsgrundloser Zahlung auf ein Anderkonto des Insolvenzverwalters

Das Problem

Im Rahmen des Insolvenzverfahrens haben viele Insolvenzverwalter ein “Anderkonto” für Zahlungen zugunsten der Insolvenzmasse eingerichtet. Bei einem solchen Anderkonto handelt es sich um ein Vollrechtstreuhandkonto, aus dem ausschließlich der das Konto eröffnende Insolvenzverwalter persönlich der Bank gegenüber berechtigt und verpflichtet ist (vgl. BGH – Urteil v. 07.02.2019, Az. IX ZR 47/18). Werden Zahlungen auf dieses Konto durch den Fiskus geleistet und stellt sich im Nachhinein heraus, dass diese Zahlungen rechtsgrundlos erfolgt sind bzw. entfällt nachträglich die Rechtsgrundlage, stellt sich die Frage, ob der Insolvenzverwalter persönlich Leistungsempfänger von § 37 Abs. 2 AO und damit zur Rückzahlung verpflichtet ist, auch wenn die Masse bereits verteilt worden ist.

Das Urteil

Der VII. Senat des Bundesfinanzhofs hat im Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens auf Aussetzung der Vollziehung mit Beschluss vom 31.08.2021 (VII B 64/20) entschieden, dass bei Zahlungen des Fiskus auf ein Anderkonto des Insolvenzverwalters nicht der Insolvenzverwalter Zahlungsempfänger im Sinne von § 37 Abs. 2 AO sei, sondern der Schuldner. In der zu entscheidenden Konstellation hatte das Finanzamt Einkommensteuererstattungen, die durch insolvenzbedingte Verlustvorträge verursacht waren, auf das Anderkonto des Insolvenzverwalters vorgenommen. Nachdem dem Schuldner eine Restschuldbefreiung gewährt worden war und das Insolvenzgericht der Schlussverteilung zustimmte, wurde die Schlussverteilung vorgenommen. Das Finanzamt vertrat die Auffassung, dass durch die Erteilung der Restschuldbefreiung und wegen des damit verbundenen Wegfalls von Verbindlichkeiten ein Gewinn zum Zeitpunkt der Betriebsaufgabe entstehe. Hierdurch würden die Verlustvorträge entfallen, die vorgenommenen Einkommensteuererstattungen seien rückgängig zu machen und die entsprechenden Einkommensteuerbescheide zu ändern. Zur Rückzahlung sei jedoch nicht der Schuldner, sondern der Insolvenzverwalter als Empfänger der Zahlungen verpflichtet.

Die Begründung

Im Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens und der darin vorgenommenen summarischen Prüfung hat der Bundesfinanzhof die Auffassung vertreten, dass ernstliche Zweifel daran bestehen, dass der Insolvenzverwalter tatsächlich als Leistungsempfänger im Sinne von § 37 Abs. 2 Satz 1 AO in der vorliegenden Fallkonstellation anzusehen sei. Der Leistungsempfänger im Sinne von § 37 Abs. 2 AO müsse nicht zwangsläufig mit dem Empfänger der Zahlung identisch sein. Ein Zahlungsempfänger sei insbesondere dann nicht Leistungsempfänger im Sinne der Norm, wenn er lediglich als “Zahlstelle”, unmittelbarer Vertreter oder Bote für den Erstattungsberechtigten aufgetreten oder von diesem benannt worden sei.

In der vorliegenden Fallkonstellation sei der Schuldner Leistungsempfänger im Sinne von § 37 Abs. 2 AO. Der Schuldner sei nach materiellem Recht Erstattungsberechtigter der ursprünglich vorgenommenen Einkommensteuererstattungen gewesen. Unter Berücksichtigung des Umstands, dass das Finanzamt mit den Erstattungen Verpflichtungen gegenüber der Masse erfüllen wollte und der Insolvenzverwalter die Zahlungen auch an die Masse weitergeleitet habe, sei der Insolvenzverwalter zwar als Zahlungsempfänger, aber nicht als Leistungsempfänger anzusehen.

Anmerkungen und Auswirkungen auf die Praxis

Der BFH-Beschluss hat enorme praktische Bedeutung. Zahlreiche Insolvenzverwalter hatten in der Vergangenheit Anderkonten eingerichtet. Dies ist nach neuerer BGH-Rechtsprechung vom 07.02.2019 (Az. IX ZR 47/18) als pflichtwidrig anzusehen. Vor diesem Hintergrund sind die Insolvenzverwalter dazu übergegangen, sog. “Insolvenz-Sonderkonten” einzurichten, bei denen Zahlungseingänge als Bestandteil der Insolvenzmasse anzusehen sind.

Mit der Frage, ob (nachträglich) rechtsgrundlose Zahlungen auf ein Insolvenzanderkonto möglicherweise zu einer Rückerstattungsverpflichtung des Insolvenzverwalters aus seinem persönlichen Vermögen führen können, werden sich viele Finanzämter und Insolvenzverwalter mit Anderkonten auseinandersetzen. Hierfür spricht bereits der Umstand, dass das betroffene Finanzamt in dem BFH-Verfahren sowohl im Rahmen des vorgerichtlichen Verfahrens als auch im Rahmen der gerichtlichen Auseinandersetzung erhebliche Energie aufgewendet hat.

Die Rechtsfrage ist noch nicht abschließend entschieden. Die Entscheidung in der Hauptsache ist abzuwarten. Es wäre zu begrüßen, wenn der Fiskus sich der aus unserer Sicht zutreffenden Auffassung des BFH auch in anderen Verfahren anschließen würde. Eine persönliche Haftung des Insolvenzverwalters (für die kein Versicherungsschutz besteht), könnte gravierende Folgen für den/die Insolvenzverwalter/in haben.

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