Kein Widerruf eines Darlehensvertrages bei rechtsmissbräuchlichem Verhalten?

Der Fall

Das Oberlandesgericht Koblenz hat sich in seiner Entscheidung vom 1.7.2022 (Aktenzeichen 8 U 841/21) mit der Frage befasst, ob der Widerruf eines Darlehensvertrages durch den Darlehensnehmer wegen rechtsmissbräuchlichen Verhaltens unwirksam sein kann.

Grundsätzlich kann ein Darlehensvertrag innerhalb einer vierzehntägigen Frist ohne Angabe von Gründen widerrufen werden. Diese Frist kann im Einzelfall jedoch deutlich länger ausfallen, wenn der Darlehensnehmer bei Vertragsschluss nicht ordnungsgemäß über sein Widerrufsrecht informiert wird oder er erforderliche Pflichtangaben nicht erhält. Zu diesen erforderlichen Pflichtangaben zählt nach aktueller Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs unter anderem auch die Angabe der konkreten Höhe eines etwaigen Verzugszinssatzes.

 

Der Kläger hatte im Jahr 2017 mit dem beklagten Kreditinstitut einen Darlehensvertrag zur Finanzierung eines Kfz abgeschlossen. Im Jahr 2019 erklärte der Darlehensnehmer den Widerruf des Vertrages und begründete dies damit, dass er bei Vertragsschluss nicht ordnungsgemäß belehrt und informiert worden sei. Weitere 2 Jahre später schloss er mit demselben Kreditinstitut einen Vertrag über die Finanzierung der Schlussrate des ursprünglichen Kreditvertrages. Hierbei verpflichtete er sich unter anderem, dem Kreditinstitut das finanzierte Auto zur Sicherheit zu übereignen.

Die Entscheidung

Das Oberlandesgericht Koblenz urteilte nun, dass sich der Darlehensnehmer aufgrund widersprüchlichen Verhaltens nicht auf den Widerruf berufen könne. Der Kläger habe sich durch den Abschluss der Anschlussfinanzierung im Jahr 2021 in einen unauflösbaren Selbstwiderspruch begeben. Einerseits habe er im Jahr 2019 den Widerruf des Darlehensvertrages erklärt, andererseits jedoch im Jahr 2021 diesen Vertrag gerade durch die Anschlussfinanzierung bestätigt. Widersprüchlich sei außerdem gewesen, dass der Kläger die Übereignung des finanzierten Autos als Sicherheit angeboten habe. Dies sei ihm aber gar nicht möglich gewesen. Denn im Falle eines wirksamen Widerrufs wäre schon im Jahr 2019 ein Rückabwicklungsverhältnis entstanden, infolgedessen der Kläger das Eigentum an dem Fahrzeug an das Kreditinstitut übertragen und das Fahrzeug an dieses hätte übergeben müssen. Im Hinblick auf dieses widersprüchliche Verhalten hätte das Kreditinstitut darauf vertrauen dürfen, dass der Kläger trotz des Widerrufs an dem Darlehensvertrag festhalten möchte.

Fazit

Das Gericht hat sich in seinem Urteil auf ein allgemeingültiges Rechtsprinzip gestützt: Ein widersprüchliches Verhalten kann unter bestimmten Voraussetzungen dazu führen, dass man eine Rechtsposition verliert, die einem formal eigentlich zustünde. Wesentliche Voraussetzung ist unter anderem, dass die andere Vertragspartei, hier das Kreditinstitut, darauf vertrauen darf, dass der Vertragspartner sich eben nicht mehr auf diese formale Rechtsposition beruft.

In diesem Zusammenhang bleibt jedoch erwähnenswert, dass das OLG die Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen hat. Nach Einschätzung des Gerichts könnten die hiesigen „deutschen“ Vorstellungen vom Rechtsmissbrauch in diesem Zusammenhang gegen die Europäische Verbraucherkreditrichtlinie verstoßen. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs bleibt also abzuwarten.

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