Neues zur “Scheinselbständigkeit” – Reform des Statusfeststellungsverfahrens zum 01.04.2022

Wird – zumeist geschieht dies anlässlich einer Betriebsprüfung – eine “Scheinselbständigkeit” aufgedeckt, dann drohen rechtsgebietsübergreifend (d.h. im Arbeitsrecht, Sozialrecht, Steuerrecht und Strafrecht) viele Risiken und Sanktionen. Wer diese vermeiden möchte, der kann bei der Deutsche Rentenversicherung (DRV) einen Statusfeststellungsantrag stellen und prüfen lassen, ob und ggf. in welchen Zweigen der Sozialversicherung eine Versicherungs- und Beitragspflicht besteht. Nach nunmehr über 20 Jahren kommt es nun zu einer Reform des Statusfeststellungsverfahrens. Die Änderungen treten zum 01.04.2022 in Kraft.

Und dies sind die wichtigsten Punkte, die Sie zum neuen Recht kennen sollten:

  1. Grenzüberschreitende Personaleinsätze sind auch mit der neuen Reform nicht thematisiert worden. Es bleibt also zu hoffen, dass den Beteiligten zumindest Leitlinien, Handreichungen oder Verwaltungshinweise zur Verfügung gestellt werden, die hier für mehr Rechtssicherheit sorgen.
  2. Es ändert sich (leider) nichts daran, dass sich ein Statusfeststellungsbescheid nur auf den Bereich des Sozialversicherungsrechts erstreckt. Eine Bindung, die z.B. auch für das Arbeits- oder das Steuerrecht gilt, gibt es weiterhin nicht. Es ist deshalb wie bisher möglich, dass die Arbeits-, Sozial- oder die Finanzgerichtsbarkeit ein und dieselbe Tätigkeit unterschiedlich bewertet.
  3. Es ist ausschließlich nur das Verfahrensrecht geändert worden. Auch wenn sich also so mancher mehr Praktikabilität gewünscht hätte, so wird es keine neuen Status-Abgrenzungskriterien geben. Ebenso wenig wird es einen Positiv-Katalog geben, der eine selbstständige Tätigkeit indiziert, wenn bestimmte Kriterien bejaht werden können.
  4. Neu ist, dass nunmehr isoliert über den Erwerbsstatus einer “Beschäftigung” entschieden wird. Demgegenüber war es bisher so, dass die DRV darüber entscheiden musste, ob (aufgrund einer abhängigen Beschäftigung) in den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung (also Rentenversicherung, Kranken- und Pflegeversicherung, Arbeitslosenversicherung) eine Versicherungspflicht besteht.Dieser geänderte Prüfungsumfang könnte dazu führen, dass das Antragsverfahren beschleunigt wird. Wollen aber die Beteiligten – was ja zumeist der Fall sein wird – die konkreten Versicherungspflichten verbindlich klären, dann hilft letztlich nur die (zusätzliche) Einholung einer Entscheidung der zuständigen Einzugsstelle bzw. (bei geringfügigen Beschäftigungen) der Minijobzentrale nach § 28h Abs. 2 SGB IV. Möglicherweise wird dies dazu führen, dass Auftraggeber und Auftragnehmer dann sogleich (und ggf. nur) dieses sog. Einzugsstellenverfahren beschreiten.
  5. Künftig ist es zulässig, nicht nur die Frage der “Beschäftigung” klären zu lassen, sondern auch den Status einer “selbstständigen Tätigkeit”. Allerdings kann über ein Statusfeststellungsverfahren auch künftig nicht geklärt werden, ob eine Versicherungspflicht als Selbstständiger besteht.
  6. Die Versicherungspflicht setzt frühestens mit Bekanntgabe des Bescheides ein, durch den die DRV über den Erwerbsstatus entscheidet. Dadurch wird also der Zeitpunkt hinausgeschoben, ab dem eine Versicherungs- und Beitragspflicht beginnt. Dauert also z.B. ein Fremdpersonaleinsatz nur einige Wochen oder gar nur Tage, dann ist dieser Einsatz, bis der Bescheid der DRV vorliegt, zumeist bereits längst beendet. Die Folge ist, dass dann für einen solchen kurzfristigen Personaleinsatz keine Sozialversicherungsbeiträge mehr zu zahlen sind – also eine mögliche Vermeidungsstrategie.
  7. Wenn Auftraggeber und Auftragnehmer dies übereinstimmend beantragen, dann darf eine Anhörung künftig unterbleiben. Dies kann zu einer spürbaren Verfahrensbeschleunigung führen, weshalb insofern bereits von einer “Turbo”-Feststellung die Rede ist.Umgekehrt ist es nun im Rahmen eines Widerspruchsverfahrens möglich, eine mündliche Anhörung zu beantragen. Ein solches Antragsrecht, das dazu dienen soll, die wichtigen Aspekte im Dialog herausarbeiten zu können, steht jedem Beteiligten zu.
  8. Bei Dreiecksverhältnissen mussten die unterschiedlichen Rechtsbeziehungen zwischen den Beteiligten bisher jeweils separat durch mehrere Statusfeststellungsverfahren geklärt werden. Künftig ist es für solche Konstellationen möglich, nur noch ein einziges Statusfeststellungsverfahren durchzuführen, in das dann alle einbezogen werden, die an der Vertragskonstruktion beteiligt sind.
  9. Der frühest mögliche Zeitpunkt für einen Statusantrag war bisher der Zeitpunkt des tatsächlichen Beginns einer Tätigkeit. Demgegenüber kann künftig auch schon vor der Aufnahme einer Tätigkeit ein Statusantrag gestartet werden. Geprüft werden dann nicht nur die schriftlichen Vertragsbedingungen, sondern Auftraggeber und Auftragnehmer müssen Angaben dazu machen, wie das Vertragsverhältnis konkret ausgefüllt und gelebt werden soll. Dazu, welche Angaben denn nun konkret gemacht werden müssen, damit die Beschreibung der Umstände genau und ausreichend ist, wird es hoffentlich alsbald noch Check-Listen sowie Musteranträge geben (die von der DRV bislang noch nicht veröffentlicht worden sind).
  10. Eine weitere interessante Neuerung wird die Möglichkeit einer sog. “Gruppenfeststellung” sein. Während bisher für jeden Auftrag ein separates Statusverfahren durchgeführt werden musste, ist es nunmehr möglich, ein “Musterverfahren” für eine Mehrzahl von Auftragsverhältnissen durchzuführen. Voraussetzung hierfür ist, dass die in Frage stehenden Tätigkeiten ihrer Art und den Umständen der Ausübung nach übereinstimmen und dass ihnen einheitliche vertragliche Vereinbarungen zugrunde liegen. Solche Gruppenfeststellungen dürften also gerade für größere Unternehmen, die immer wiederkehrend gleichgelagerte Personaleinsätze vornehmen, ein Gewinn sein. Allerdings erfassen solche Gruppenfeststellungen nur diejenigen Auftragsverhältnisse, die innerhalb von zwei Jahren seit Zugang der DRV-Entscheidung (die rein formal gesehen nur noch eine sog. “gutachterliche Äußerung” ist) geschlossen werden. Auftraggeber sind also gut beraten, jeweils vor dem Ablauf von zwei Jahren eine erneute Statusbeurteilung einzuholen.

Der Inhalt dieses Artikels ist zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung aktuell und korrekt. Da sich die Umstände schnell ändern können, nehmen Sie im Zweifelsfall bitte Kontakt mit den zuständigen Beratern auf.

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  • “Manager-Haftpflicht: Gut genug versichert?”, in “Der GmbH-Steuer-Berater” 2012, 340 ff.
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