Wann ist ein leitender Angestellter tatsächlich ein leitender Angestellter?

Das Problem

Der Status eines “leitenden Angestellten” eröffnet dem Arbeitgeber die Chance, sich einfacher vom Mitarbeiter trennen zu können. Existiert im Unternehmen z.B. ein Betriebsrat, so bedarf es vor dem Ausspruch einer Kündigung keiner vorherigen Anhörung des Betriebsrates, sofern die Voraussetzungen des § 5 Abs. 3 BetrVG erfüllt sind. Dies ist z.B. der Fall, wenn der leitende Angestellte zur selbständigen Einstellung und Entlassung von Mitarbeitern berechtigt ist, oder wenn eine Prokura erteilt worden ist, die “auch im Verhältnis zum Arbeitgeber nicht unbedeutend ist”. Des Weiteren hat der Arbeitgeber bei einem leitenden Angestellten die Möglichkeit, gemäß § 14 Abs. 2 KSchG die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung beantragen zu können, ohne dass hierfür Kündigungsgründe vorliegen müssen. Wird allerdings die Frage, ob es sich um einen “leitenden Angestellten” handelt oder nicht, vom Arbeitgeber fehlerhaft eingeschätzt, dann kann dies gravierende Folgen haben.

Die Entscheidung

Das Arbeitsgericht Bielefeld hatte einen Fall zu entscheiden, bei dem der Arbeitgeber einem Mitarbeiter eine Gesamtprokura erteilt hatte. Nachdem die im Vorfeld geführten Vergleichsverhandlungen ergebnislos geblieben sind, hat der Arbeitgeber eine Kündigung ausgesprochen, allerdings ohne die vorherige Anhörung des Betriebsrates. Dies in der Annahme, dass der Mitarbeiter ein leitender Angestellter im Sinne des § 5 Abs. 3 BetrVG ist. Außerdem hat der Arbeitgeber im Kündigungsschutzverfahren die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung beantragt, weil aufgrund diverser Vorfälle “eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht mehr zu erwarten sei”. Das Arbeitsgericht Bielefeld hat der Kündigungsschutzklage des Mitarbeiters stattgegeben und den Auflösungsantrag des Arbeitgebers zurückgewiesen. Dies im Wesentlichen mit der Begründung, dass der Mitarbeiter ungeachtet der Prokura-Erteilung kein leitender Angestellter im Sinne des § 5 Abs. 3 BetrVG sei. Allein schon wegen der unterbliebenen Betriebsratsanhörung war auch die streitbefangene Kündigung unwirksam. Und weil die Kündigung neben den ebenfalls fehlenden Abmahnungen zusätzlich auch unter dem formalen Fehler der unterbliebenen Betriebsratsanhörung gelitten hat, ist auch der Auflösungsantrag zurückgewiesen worden. Entscheidungsrelevant war bei alledem vor allem die Frage, ob die Prokura-Erteilung “im Verhältnis zum Arbeitgeber nicht unbedeutend” gewesen ist. Die dem Prokuristen obliegenden unternehmerischen Führungsaufgaben dürften sich aber nicht – so das Arbeitsgericht Bielefeld – in der Wahrnehmung sog. Stabsfunktionen erschöpfen. Der unternehmerische Einfluss von Angestellten in Stabsfunktionen sei auf das Innenverhältnis zum Unternehmer beschränkt. Sie würden somit keine Aufgaben ausüben, die regelmäßig einem Prokuristen kraft gesetzlicher Vertretungsmacht vorbehalten seien. Für solche “Stabsfunktionen” hat die Prokura – ebenso wie bei Titular-Prokuristen – keine sachliche Bedeutung. Nach einer ausführlichen Prüfung und Bewertung vor allem auch der Stellenbeschreibung sowie einer existierenden Vollmachtenregelung des Arbeitgebers, ist das Arbeitsgericht Bielefeld zu dem Ergebnis gelangt, dass der Mitarbeiter im Innenverhältnis wesentlichen Beschränkungen unterlegen hat, die den Status eines leitenden Angestellten nicht rechtfertigen.

Fazit

Die Entscheidung des Arbeitsgerichts Bielefeld belegt sehr anschaulich, wie gefährlich sich bei der Frage, ob es sich um einen leitenden Angestellten handelt oder nicht, eine Fehleinschätzung auswirken kann. Welche Kompetenzen hat der vermeintliche “leitende Angestellte” allein schon “auf dem Papier” im Vergleich zu den ihm übergeordneten Hierarchie-Ebenen inne ? Im Zweifel sollte also nicht nur eine vorsorgliche Anhörung des Betriebsrates erfolgen, sondern es sollte auch geprüft werden, ob und inwieweit die “Papierform” auch der tatsächlich gelebten Praxis entsprochen hat. Umgekehrt folgt hieraus aus der Sicht des Mitarbeiters, dass er keineswegs chancenlos ist, nur weil die Papierform (z.B. wegen einer Prokura-Erteilung) dem ersten Anschein nach gegen ihn spricht.

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