Kfz-Leasing: Wem steht die sog. Neuwertspitze zu?

Der Bundesgerichthof hat jüngst die Frage entschieden, wem bei fristloser Kündigung eines Kfz-Leasingvertrages wegen Diebstahls des Fahrzeuges die sogenannte Neuwertspitze einer Versicherungsleistung zusteht.

Der Fall

Der Kläger (Leasingnehmer) hatte von der Beklagten (Leasinggeberin) ein Neufahrzeug geleast. Für das Fahrzeug schloss er eine Vollkaskoversicherung ab. Es handelte sich um eine Versicherung auf Neuwertbasis. Der Leasingvertrag sah zwar eine Pflicht zum Abschluss einer Vollkaskoversicherung vor, nicht aber auf Neuwertbasis.

Das Fahrzeug wurde entwendet und der Leasingvertrag seitens der Leasinggeberin fristlos gekündigt. Der Versicherer erstattete der Leasinggeberin den Neupreis des Kfz. Der Neupreis lag knapp € 30.000,00 über dem Wiederbeschaffungswert des Kfz zur Zeit des Diebstahls. Die Versicherungsleistung war auch deutlich höher als der sogenannte Ablösewert, d. h. derjenige Betrag, der zur vollen Amortisation des Finanzierungsaufwandes der Leasinggeberin einschließlich ihres kalkulierten Gewinns notwendig ist und welcher der Leasinggeberin bei einer entsprechenden Vereinbarung im Leasingvertrag stehts zusteht.

Leasingnehmer und Leasinggeber stritten nun vor Gericht um die Differenz zwischen Neupreis und Wiederbeschaffungswert bzw. Ablösewert. Die beiden ersten Instanzen wiesen die Klage des Leasingnehmers auf Zahlung der Differenz zurück. Der Kläger wandte sich daraufhin mit der Revision zum Bundesgerichtshof.

Die Entscheidung des BGH

Der BGH (Urteil vom 09.09.2020 – Aktenzeichen VIII ZR 255/19; so auch Urteil vom 09.09.2020 – VIII ZR 389/18 und Urteil vom 09.09.2020 – VIII ZR 71/19) hat die Leasinggeberin zur Zahlung der Differenz zwischen Neuwert des Kfz und dem Wiederbeschaffungswert (sog. Neuwertspitze) verurteilt. Zur Begründung führt der BGH  aus, dass es sich bei der sog. Neuwertspitze um einen Übererlös oder zusätzlichen Gewinn der Leasinggeberin handeln würde, welcher dieser nach der Interessenlage nicht zustehe. Die Leasinggeberin habe zwar ein berechtigtes Interesse daran, dass sie den Wiederbeschaffungswert des Fahrzeuges erstattet bekomme. Denn die im Leasingvertrag vorgesehene Vollkaskoversicherung dient dazu, den Sachwert des Fahrzeuges im Zeitpunkt des Diebstahls zu ersetzen. Nach der gesetzlichen Wertung  erstrecke sich dieses Interesse der Leasinggeberin aber nicht auf denjenigen Anteil der Vollkaskoversicherung, der dem Neuwert entspricht. Das Gesetz (§ 285 BGB) sehe nämlich vor, dass die Leasinggeberin als Gläubigerin (nur) dasjenige erstattet bekomme, was der Leasingnehmer von der Versicherung als Gegenleistung dafür erhält,  dass er das Kfz wegen des Diebstahls nicht zurückgeben konnte. Den auf den Neuwert entfallenden Anteil der Vollkaskoversicherung habe die Leasinggeberin nicht als Ersatz für die geschuldete Rückgabe des Kfz erlangt, weil die Rückgabe eines neuwertigen Fahrzeuges an die Leasinggeberin vertraglich nicht geschuldet war.
Außerdem diene die sogenannte Neuwertspitze dem Interesse des Leasingnehmers, mit Hilfe der Versicherungsleistung wieder in den Genuss der Nutzung eines Neufahrzeuges zu gelangen und sich nicht mit einem gebrauchten Kfz begnügen zu müssen. Die Leasinggeberin sei zwar Eigentümerin des Kfz. Dies berechtige aber nicht dazu, die Neuwertspitze einzubehalten, weil die Leasinggeberin auch bei regulärem Vertragsablauf nicht mit einer Verwertung des Kfz zum Neupreis rechnen durfte, erst recht nicht bei vorzeitiger Vertragsbeendigung wegen eines Diebstahls des Kfz.

Fazit

Der BGH hat mit seinem Urteil eine Frage zu Gunsten der Leasingnehmer entschieden, die seit längerer Zeit umstritten war. Es kann nunmehr als geklärt angesehen werden, dass die sog. Neuwertspitze, also die Differenz zwischen dem Neuwert und dem Wiederbeschaffungswert des geleasten Kfz zum Zeitpunkt des Diebstahls, dem Leasingnehmer zusteht. Noch offen ist dagegen die Frage, ob sich in den Leasingverträgen wirksam etwas anderes regeln lässt oder ob eine von der Rechtsprechung des BGH abweichende Vertragsklausel, die die Neuwertspitze dem Leasing-geber zuspricht, gegen das AGB-Recht verstößt.

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